🔴 Von Hagi. Foto von lauragrafie.
Da die Beweislast den Angeklagten eindeutig als Täter identifiziert hat, ergeht im Namen des Volkes folgendes Urteil.
Etwa mit diesen Worten endet oft nach Monaten ein kräftezehrendes Verfahren. Während die einen in einer Welt, die sie gerade erst kennenlernen, auf Gerechtigkeit hoffen, ziehen sich andere zu oft darauf auf, den Schuldigen längst gefunden zu haben. Ein Verbrechen das Schlagzeilen machte: „Tödliches Ehedrama – Ein Mord ohne Leiche!“
Die Beweisaufnahme zog sich schleppend, immer wieder wurden die selben Zeugen vernommen. Die Justiz war sich sicher, das perfekte Verbrechen. Im Zeugenstand wurde mehrfach bestätigt, man habe mitbekommen, dass die Ehe kriselte, aber gleich so eine Tat? Andere waren sich sicher, die Ehe wäre perfekt, eine Vorzeigeehe, doch der Angeklagte habe schon immer einen merkwürdigen Eindruck gemacht. Vor allem lasse doch schon sein Erscheinungsbild auf kriminelle Energie schließen. Der Angeklagte beteuerte seine Unschuld, natürlich wäre in der Ehe nicht alles perfekt gewesen, das wäre es schließlich in keiner Ehe. Doch seine Frau sei im Eifer eine Streitigkeit lediglich davongelaufen, niemals würde er ihr etwas antun können. Bestimmt tauche sie irgendwann wieder auf. „Im Zweifel für den Angeklagten“ könne man der Presse nicht verkaufen, nicht schon wieder. In welch schlechtes Licht würde die Justiz mit einem Freispruch gerückt, das hätte sie auf keinen Fall verdient. Man einigte sich auf eine Möglichkeit den Angeklagten doch noch überführen zu können, schließlich haben Zeigen bestätigt, dass mit dem Mann etwas nicht stimme. Mit dem Argument, die Ehefrau sei tatsächlich überraschend wieder aufgetaucht und müsse im Rahmen einer Befragung noch einige Unstimmigkeiten erklären, entschied man sich, sie als letzte Zeugin des Verfahrens in den Zeugenstand zu rufen. Verblüffte Blicke sammelte n sich an der langsam aufgehenden Saaltür, warteten erwartungsvoll, doch niemand kam hinein.
Ein enttäuschtes Stöhnen zog sich durch den Saal, während der Richter kurz Inne hielt und die Beweisaufnahme für beendet erklärte. Der Angeklagte wurde im Namen des Volkes für schuldig erklärt und zu lebenslanger Haft verurteilt. Zur Begründung, so der Richter: Der Angeklagte war der einzige, der nicht zur Tür hingesehen hatte. Nur er als Täter konnte sicher sein, dass seine Frau nicht in den Zeugenstand kommen würde.
Eine Geschichte, wie sie tatsächlich passiert ist? Ich hoffe nicht!
Eine Geschichte, wie sie tatsächlich passieren könnte? Vielleicht!
Emotionen im Zeugenstand, Vorurteile in der Richterschaft, Druck aus der Öffentlichkeit, und die Angst, zu versagen.
Wo hören Beweise auf und wo fangen Indizien an? Inzwischen wurde eine Leiche gefunden.
Die des verurteilten Mannes, der sich in seiner Zelle das Leben nahm.