🔴 Von Andy R. Foto von lauragrafie.
Weihnachten ist das Fest der Liebe, sagt man. Es sind diese Tage im Jahr, wo Erinnerungen entstehen, und aus besseren Zeiten wieder zum Vorschein kommen. Doch was ist Weihnachten für mich in diesem Lebensabschnitt? Morgens um acht werde ich zärtlich geweckt! Man hat das Frühstück für mich bereits vorbereitet und angerichtet. Das lange Warten beginnt. Oh, es ist Mittagszeit und es wird gespeist. Das lange Warten beginnt. Nun, der Abend bricht heran, die Aufregung wird heftiger. Doch gibt es zuvor Abendbrot,Abendbrot plus ein Stück Stolle. Was folgt nun? Ach, ich vergaß. Ich befinde mich im Gefängnis. Und nun entsteht, wie in jenen Jahren zuvor, der Zwiespalt in meinem Kopf und in meinen Gedanken. Ich erinnere mich allzu gern an die Weihnachtsfeste in Freiheit, an die Weihnachtsfeste mit meiner Familie, mit meinen Freunden und mit anderen Personen, die mir sehr viel bedeuteten. Was ist davon geblieben? Vieles habe ich verloren, sehr viele Personen aus meine Familie und auch viele meiner Freunde. Meine Freiheit! Viele haben sich von mir abgewendet. Etliche sind in der Zeit meiner Haft auch gestorben. Ich bin immer noch hier. Und, wie in den Jahren zuvor, wird es mir wieder schockierend bewusst: Ja, es ist Weihnachten. Es ist das Fest der Familie, das Fest der Liebe. Ich verbringe es im Haftraum, allein. Ich weiß, ich habe es allein zu verantworten, dass es diesen Weihnachtstag gibt, wie er ist. Ich habe zu verantworten, dass ich einer Familie — die ich nicht einmal kenne, obwohl wir Jahre nebeneinander lebten — zu jeder Weihnachtszeit aufs Neue diesen Schmerz zufüge. Ich bin es, der dieser Familie die Tochter, das Enkelkind … die Liebe … und auch für alle Anderen eine Freundin, Ratgeberin und einen wundervollen Menschen nahm. Ich habe zu verantworten, dass nicht nur für mich, sondern auch für die Familie meines Opfers und allen anderen Betroffenen durch meine Tat — Jahr für Jahr das Fest nicht mehr dass gleiche ist — wie es einmal war, da Jemand und etwas fehlt. Es ist die Liebe, welche zerbricht. Und Jahr für Jahr sehne ich mich, ich, ein verurteilter Mörder, nach einem Weihnachtsfest, wie wir es früher miteinander gefeiert haben, mit der Familie, den Freunden drumherum, mit all den Leuten, die mir fehlen! Die Gedanken an diese Zeit sind es, die mich am Leben erhalten, Weihnachten um Weihnachten. Und Weihnachten um Weihnachten kann ich mir an diesem Ort hinter Mauern und Stacheldraht Weihnachten ausmalen — aber nur im Gedanken, weswegen ich in meinen Traum eintauche, bis die Realität des Gitteralltages mich wieder einholt. Aber die Sehnsucht bleibt!